Liebe Leserinnen und Leser,
ich bin gestern nach unserer Position zu einem Mindestlohn für Beschäftigte in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) gefragt worden.
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Podiumsdiskussion in der Kulturbrauerei |
Herr Dr. Gysi von den Linken hat neulich auf dem
Podium in der Kulturbrauerei bekannt: "Wir sind für einen Mindestlohn und der muss auch für WfbM-Beschäftigte gelten." Und dafür viel Beifall bekommen.
Ganz so einfach ist das leider nicht. In Werkstätten beschäftigt sind Menschen, die
"nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können". Das heißt, diese Menschen gelten als nicht erwerbsfähig und unterliegen deshalb auch keinem Tarifvertrag oder Mindestlohn.
Das heißt auch, dass zuerst die rechtliche Stellung der WfbM-Beschäftigten geändert werden muss, um von einer Mindestlohn-Regelung profitieren zu können. Im
Gesetzentwurf des Forums behinderter Juristinnen und Juristen "Gesetz zur Sozialen Teilhabe", den die Linken und wir unterstützen, ist die rechtliche Stellung der WfbM-Beschäftigten auch nicht vollständig geklärt. Der Entwurf macht aber - wie ich finde - drei Vorschläge, die Verbesserungen für die Beschäftigten in WfbM darstellen:
- WfbM-Beschäftigte werden erwerbsfähigen Menschen gleichgestellt, d. h. sie können Leistungen des SGB II und des SGB III in Anspruch nehmen. Diese Gleichstellung ist die Voraussetzung für einen Mindestlohn.
- Als neue Form der Erwerbstätigkeit wird der Begriff "Beschäftigung unter nichtüblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" eingeführt (in § 7 SGB II und § 118 SGB III). Dieser stellt eine Zwischenform zwischen voller Erwerbsminderung (wie Erwerbsunfähigkeit politisch korrekt heißt) und voller Erwerbsfähigkeit dar.
- Der Entwurf führt ein sogenanntes "Budget führt Arbeit" ein, das Arbeitgebern gezahlt wird, damit die Minderleistung (kein schönes Wort) von voll Erwerbsgeminderten ausgeglichen wird und sie, das heißt die Menschen mit voller Erwerbsminderung, dann auch von ihrer Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leben können.
In dem Gesetzentwurf und seinem Kommentar wird noch eine andere wichtige Empfehlung gegeben: Wenn das Menschenrecht Teilhabe wirklich umgesetzt werden soll, muss sich auch die Struktur und Zielsetzung der Einrichtungen ändern: anstelle eines dauerhaften Ausschlusses eine zeitlich befristete Förderung in Einrichtungen mit dem Ziel der Teilhabe am allgemeinen Arbeitsmarkt.
Das widerspricht aber im Moment noch der gängigen Praxis in unserem Land, in dem nach wie vor die Mehrheit (59%) der Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII eben nicht der Eingliederung dienen, sondern in Einrichtungen erbracht werden. Und noch eine "Sache" macht die Anerkennung der Arbeitsleistungen von Werkstattbeschäftigten durch einen Mindestlohn schwer: Lobbyismus.
Inzwischen ist die Auslagerung von Produktion in Werkstätten für behinderte Menschen ein Wirtschaftszweig geworden. Mit
Milliardenumsatz. Und die Unternehmen, die von WfbM produzieren lassen, profitieren doppelt davon: geringe Produktionskosten und Senkung der Ausgleichsabgabe in Höhe von
50% des Rechnungsbetrages der WfbM. Das hat inzwischen auch die
Rüstungsindustrie herausgefunden.
Von diesen Vergünstigungen hat nur eine Seite was: die Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarkts, die dort produzieren lassen. Die Beschäftigten der Werkstätten für behinderte Menschen gar nichts, sie bleiben in der Grundsicherung.
Fazit:
Solange wir gesetzliche Regelungen haben, die Unternehmen
besserstellen, die in WfbM produzieren lassen, anstelle schwerbehinderte
Menschen einzustellen und damit teilhaben zu lassen, sind wir von
gleichberechtigter Teilhabe meilenweit entfernt.
Es müsste doch genau umgekehrt sein: wer in WfbMs und nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt produzieren lässt, müsste eine höhere Ausgleichsabgabe zahlen. Die dann auch wirklich für Inklusion eingesetzt wird.
In diesem Sinne: einen angenehmen Arbeitstag!