Freitag, 12. April 2013

Positive Öffentlichkeit - Wie Schutzteufel gesund machen

In dieser Woche habe ich zusammen mit anderen inklusionspolitisch Interessierten das Berufsbildungswerk (BBW) "Annedore Leber" besucht.

Berufsbildungswerke sind Orte der beruflichen Rehabilitation und dienen der beruflichen Erstausbildung von jungen Menschen mit Behinderung. In Deutschland gibt es insgesamt 52 BBW. Meist ist an sie auch ein Wohnheim angeschlossen, wenn sie für einen größeren Einzugsbereich zuständig sind.

Als Streiterin für individuelle Inklusion im Kiez habe ich mich schon mehrfach mit dem Für und Wider von Einrichtungen beschäftigt, in denen ausschließlich Menschen mit Behinderung lernen, arbeiten und leben.

Der Geschäftsführer begrüßte mich am Eingang mit den Worten: "Sie sind diejenige, die froh ist, nicht in einem Berufsbildungswerk gewesen zu sein?!"

Schrecksekunde.

"Woher wissen Sie das?"

"Steht in Ihrem Blog!"

Ausgangspunkt war mein Post, indem ich berichte, dass auch der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen für seinen behinderten Sohn kämpfen musste, um ihm einen regulären Schulbesuch zu ermöglichen.

Darauf sprach mich der Geschäftsführer an und aktualisierte meinen Post: Der inzwischen junge Mann sei nun doch in einem Berufsbildungswerk, um eine Berufsausbildung zu absolvieren.

Beim weiteren Rundgang lernten wir einen anderen jungen Mann kennen. Er lebt mit einer starken Sehbehinderung und benötigt für seine Ausbildung im IT-Bereich zusätzlich zu seiner Brille einen extragroßen Bildschirm mit sehr viel Kontrast und ein über eine Kamera verkleinertes Panorama des Klassenzimmers auf einem zweiten extragroßem Bildschirm direkt vor ihm. Technisch gesehen also alles machbar.

Er hatte sich bereits bei Siemens beworben und von dort auch einen positiven Bescheid bekommen. Man könnte ihm dort nur keinen Ausbildungsplatz anbieten, stellte ihm aber nach erfolgreicher Ausbildung einen Arbeitsplatz in Aussicht.

Deshalb stelle ich heute Abend zwei Fragen an Sie, liebe Leserinnen und Leser:

  • Wenn selbst der Sohn des Behindertenbeauftragten des Bundes keine Chance auf einen regulären Ausbildungsplatz hat, wie sollen es dann "normale" Eltern behinderter Kinder schaffen, ihr Kind inklusiv auszubilden?
  • Wie können Betriebe und auch kleinere Unternehmen unterstützt werden, auch Auszubildenden mit Behinderungen eine Berufsausbildung zu ermöglichen?

Mir scheint, es fehlt unter anderem an Informationen über Förderungen durch die Integrationsämter, Agenturen für Arbeit und Jobcenter, es fehlt auch an positiver Öffentlichkeit und Werbung für die individuellen Stärken behinderter Menschen. Und da sind wir alle im täglichen Umgang in unserer Wahrnehmung gefragt.

Was ich mit positiver Öffentlichkeit meine?

Ein Beispiel: Heute titelte die Süddeutsche Zeitung: "Sagen Sie jetzt nichts, Omar Sy Der Krankenpfleger aus »Ziemlich beste Freunde« über Eddie Murphy, gute Laune und »X-Men«." Krankenpfleger - weil er genau das eben nicht war, war der Film ein Erfolg.
Driss im Film und Abdel im richtigen Leben sind Assistenten, Freunde und "Schutzteufel" (so wird er im Buch genannt). Und Philippe Pozzo di Borgo (der echte Rollstuhlfahrer, auf dessen Leben der Film beruht) sagt:
Dies ist keine Geschichte über Behinderte. Eher eine allgemeine Lehrstunde über zwei Verzweifelte, die sich unterstützen... Unsere Gesellschaft spielt verrückt, alles gerät in Unordnung, die Finanzmärkte und der ganze Rest. Es ist richtig, sich zu empören, das reicht aber nicht. Man muss auch zusammenstehen.
Sich gegenseitig mit den jeweiligen Stärken unterstützen und zusammenstehen. Darauf kommt es an.

Dazu braucht man keine Krankenpfleger, sondern Menschen mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen. Und das macht letztlich auch gesund. Alle.


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